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«Die Geschichte ist dramatisch»

ROMANSHORN. Rolf Soland hat ein Buch über die Geschichte der Kantonsschule Romanshorn geschrieben. Es geht um Erpressung, Regionalismus und auch um Kühe, die zum Fenster des Schulhauses reinschauen.

MICHÈLE VATERLAUS

«Die thurgauische Kulturnation gehört vom akademischen Niveau aus betrachtet zu den unterentwickelten Volksstämmen.» Diese Worte schrieb ein Redaktor der Thurgauer Zeitung im Jahr 1956. Er spielte damit auf den Zustand an, dass es im Thurgau nur eine Kantonsschule gab, nämlich jene in Frauenfeld. Doch der Platz dort war knapp, es brauchte neue Unterrichtsräume. Nichts besonderes eigentlich. Doch über die Frage, wo denn eine zweite Kanti gebaut werden soll, entbrannte ein Streit. Romanshorn und Kreuzlingen buhlten um die Schule. «Die Gründungsgeschichte ist hyperdramatisch, an Spannung nicht zu überbieten», sagt Rolf Soland. Der ehemalige Lehrer der Kanti Romanshorn hat deshalb darüber und über die ersten 45 Jahre der Kanti Romanshorn ein Buch geschrieben.

Streit als Fasnachtsnummer

Die Idee dazu hatte Soland, als er das Archiv der Kanti Romanshorn geordnet hat. «Es war ein Chaos, und wir mussten die Unterlagen im Staatsarchiv abliefern.» Während dieser Arbeit ist ihm die Idee gekommen. «Besonders spannend fand ich, dass die Vorgeschichte, der Streit um den Standort, nie umfassend aufgearbeitet wurde.» Also setzte er sich dahinter. Ein Jahr lang hat er recherchiert, Protokolle des Grossen Rates – vor allem die Verhandlungen der Kommissionen hinter verschlossenen Türen – sowie Zeitungen ausgewertet. Auf 230 Seiten erzählt er von Politikern, die mit viel Schlauheit und Taktik versuchten, den Standort nach Kreuzlingen oder Romanshorn zu bringen.

Das Ganze fing 1957 an. Damals formierte sich in Kreuzlingen ein Aktionskomitee, das sich für eine neue Kanti einsetzte. Romanshorn ist erst fünf Jahre später aufgewacht. «Dann hat das Seilziehen begonnen.» Dutzende Leserbriefe habe es gegeben, die Gemeinden hätten mit krassem Regionalismus argumentiert. «Die Oberthurgauer sagten, dass es am Untersee nur 9000 Einwohner gebe. Das Einzugsgebiet in Romanshorn war viel grösser», sagt Soland. Beide Gemeinden hätten ihre Filetstücke am See als Standorte angeboten, weil dort erholsame Pausenplätze erstellt werden könnten. Zu guter Letzt diente sogar der Zugfahrplan als Argument. «Der Unterricht in Romanshorn hätte wegen der Verbindungen um 6.50 Uhr beginnen können, in Kreuzlingen erst um 7.50 Uhr.»

Obwohl das Thema als dringlich erklärt wurde, hat es sieben Jahre gedauert, bis es im Grossen Rat behandelt wurde. Diese Trödelei veranlasste den Schülerrat der Kanti Frauenfeld, eine Petition an den Grossen Rat zu schicken. «Wir finden es beschämend, dass in dieser Frage der <Örtligeist> über der von Politikern zu erwartenden Einsicht steht.» Genial sei das gewesen, sagt Soland lachend. «Kein Wunder, dass einiges von dem Streit zu Fasnachtsnummern geworden ist.»

Eine Erpressung

Erst nachdem Kreuzlingen mit einer städtischen Maturitätsschule drohte, kam der Stein ins Rollen. Denn, wäre das von der Regierung vorgesehene Gesetz mit einer einzigen zweiten Maturitätsschule angenommen worden, hätte der Kanton die bereits existierende Kreuzlinger Schule übernehmen können. Romanshorn wäre leer ausgegangen. Das Kreuzlinger Vorpreschen war eine Art Erpressung, sagt Soland. Sie zwang Romanshorn zum Kompromiss: Zwei kleine Kantis in Romanshorn und Kreuzlingen unter gemeinsamer Leitung, mit denselben Lehrern. 1969 wurde der Schulbetrieb in beiden Orten aufgenommen.

Unterricht in Holzbaracken

Doch weitere Probleme folgten, als eine Initiative forderte, dass die beiden Schulen zusammengelegt werden. Dies nachdem 1972 das Volk einen Neubau für Romanshorn abgelehnte. Im letzten Augenblick konnte der Initiant zum Rückzug der Initiative gebracht werden. «Wäre diese angenommen worden, hätte das zu einer langwierigen Zertrümmerung der thurgauischen Bildungslandschaft führen können», sagt Soland.

Der Neubau sei aber nach wie vor notwendig gewesen. Der Unterricht fand nämlich in Holzbaracken statt. «Sie waren im Sommer zwar Brutkästen und im Winter Eisschränke», erinnert sich Soland. Doch das «Kantidörfli am Bodensee» habe auch seine idyllischen Seiten gehabt. «Etwa wenn während des Unterrichts eine Kuh den Kopf durchs Fenster streckte.» Die Kanti erhielt – nach zwei gescheiterten Abstimmungen – ihren Neubau, den sie im Jahr 1987 bezog.

Das Buch «45 Jahre Kantonsschule Romanshorn» kann bei der Kanti Romanshorn bezogen werden.
 
Quelle: Thurgauer Zeitung, 3.6.2014